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upon my poetree

Eigene Lyrik, Texte und Lieblingszitate

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Weltenunterschiede

Wir sind perfekt füreinander. Ich bin genauso wie du. In meiner Welt.


Ich habe kürzlich einen sehr tröstlichen Gedanken in den Annahmen des Konstruktivismus gefunden. Etwas abstrahiert, natürlich.
Jeder lebt in seiner eigenen Welt. Und plötzlich scheint es so klar und verständlich, dass Dinge nicht immer laufen, wie erwünscht. Weil es eben nicht die eine Welt gibt, in der die Parameter (wofür auch immer) einmalig definiert werden, und das ist es dann.
Jeder hat seine, und das kann natürlich nicht immer perfekt ineinandergreifen.
Und umso schöner, wenn es das tut.
Und nun denke ich – okay, cool, es liegt nicht an mir.
Es liegt nur an meiner Welt.
Wie ich die Welt sehe. Wie ich denke, dass Menschen sind. Wich ich mir vorstelle, was andere Menschen denken. Wie ich nur kenne, wie ich denke.

Und auf eine für mich noch nicht ganz greifbare Weise hat diese Erkenntnis etwas Tröstliches. Es gibt da jemanden (oder sagen wir, es gibt immer mal wieder jemanden), von dem ich denke, dass wir perfekt füreinander wären.
Doch sehe ich das natürlich aus der Perspektive aus meiner Welt heraus.
Der Gedanke, dass wir nicht beide in derselben Welt leben, in der er dann eben diese vermeintlich einzige Wahrheit nicht erkennen will, ist finde ich unglaublich befreiend. Vielleicht gibt es einfach Parameter in seiner Welt, die dafür sorgen, dass das, was für mich so offensichtlich scheint, für ihn überhaupt nicht zu erkennen ist.

Ich weiß, das ist ein bisschen gemogelt. Ich gebe die Verantwortung ab. In dem Moment, wo ich mir sage, ich kann an seiner Welt nichts ändern.
Was ich aber tun kann, ist an meiner Welt zu arbeiten. Und irgendwie zeigt mir die genauere Betrachtung meiner Welt auch, was darin erheblich schief läuft. Und das sind natürlich keine Dinge, von denen ich nicht schon längst weiß.
Aber dieses neue „Welt-Bild“ lässt mich aus einer objektivieren Perspektive auf mein Selbst schauen und macht mir deutlich, wo ihre Abgründe liegen. Ohne diese direkt wieder aus sich selbst heraus zu legitimieren.
Ich sehe meine Welt von oben und kann daran arbeiten, sie weiter aufzubauen, sie schön zu machen, sie kompatibel mit anderen Welten werden zu lassen. Natürlich werden manche Abgründe niemals verschwinden. Doch ich kann Brücken über sie bauen.
In einer offenen, einladenden Welt.

Willkommen, in meiner Welt.
(Doch man trage einen Helm, an manchen Stellen ist noch Baustelle.)

Darjeeling

„Geht es dir gut?“, fragte sie und sah ihr zu, wie sie an ihrer Teetasse nippte. Ihr starrer Blick, ziellos auf die hölzerne Tischplatte gerichtet, regte sich nicht, als sie antwortete. Ihre Stimme klang belegt. Sie hatte heute noch nicht viel gesprochen.
„Ich weiß“, sagte sie, „dass ich nicht alleine bin.“
„Natürlich bist du nicht alleine, Liebes.“
„Und einsam doch.“ Die Worte versiegten fast noch in ihrem Hals.
„Was? Wie meinst du das? Du bist doch nicht einsam.“
„Ich bin einsam. Doch das darf niemand wissen.“ Sie schwieg kurz und nippte wieder am Tee. Ihr Blick glitt aus dem Fenster, wo der Herbst das Laub wild über die Straße trieb.
„Wie paradox“, fuhr sie fort, „eine Frage nach der Rettung aus der Einsamkeit weißt die Menschen zurück.“ Entschlossen, oder eher mit ernstem Blick sah sie plötzlich ihre Freundin an und erhob die Stimme, als sie weiter sprach:
„Stark muss ich sein. Und Glücklich. Und Zufrieden. Und eigentlich ist ja sowieso alles egal und ich bin total im Reinen mit mir und brauche niemanden, um mein persönliches Happy End zu haben – was für ein Bullshit!“ Sie knallte die Tasse aus ihren Händen auf den Tisch. „Wie kann es denn sein, dass die Devise, um auf dem Schlachtfeld namens Singlemarkt nicht als ein armer Soldat zu fallen, jene ist, jegliche Zerbrechlichkeit, Schwäche und ja, vielleicht auch Bedürftigkeit zu verbergen? Und ich sage verbergen. Denn ich kann noch so viel Yoga machen und im Moment leben – die dunklen Abgründe meiner Seele werden niemals vollends verschwinden.“ Die letzten Worte ließen sie fast verstummen. „Das weiß ich. Meine Ängste, meine Sehnsüchte, meine Fehler. Sie sind ein Teil von mir. Doch das darf niemand wissen.“
Ihre Freundin wusste nicht, was sie antworten sollte. So stand diese auf und holte einen Lappen aus der Küche. Es war etwas Tee verschüttet worden.

Erwachen

Hier abermals ein älterer, wiedergefundener Text. Aus einer dunkleren Zeit.

Erwachen

Ich wache auf und öffne meine Augen. Das Licht scheint mir entgegen. Doch es ist nicht hell. Wo ist die Wärme? Ein Schleier aus tristem Grau trübt meine Sicht. Mein Körper ist kalt, von innen. Kalt und leer. Mit einer mühseligen Bewegung ziehe ich die Decke beiseite und gebe mich dem Morgen preis. Er empfängt mich gnadenlos mit der Realität, aus der ich für wenige Stunden geflohen war. Fliehen, das ist alles was ich noch tun kann.

Es ist so ernüchternd, jeder Augenblick der Gegenwart verliert in derselben Sekunde seinen Sinn, in der er ihn bekommen hat. Oder, in der er vorgab, ihn bekommen zu haben. Ernüchternd.
Ich stehe auf und gehe zum Fenster. Die Beine so schwer, jeder Schritt eine Frage. Ich öffne es und lasse den frischen Wind herein, doch kein bisschen des Sauerstoffs erfüllt meine Lunge mit Atem. Wozu atmen?

Mein Blick quält sich durch den Raum. Ich will nicht, doch ich kann mich nicht wehren.
Das Foto an der Wand. Wieder schwere Schritte, wieder Fragen, überschattet von erschreckender Gewissheit. Mein Abbild geht am Spiegel vorbei, ich kann mich nicht ansehen, dieses matte Gesicht. Blass und leidend. Der Weg ist so kurz, doch was mich am Ende erwartet lässt mich zögern. Doch ich werde getrieben, von einem masochistischen Teil meiner Selbst, den ich nicht zu kontrollieren weiß.

Ich bleibe davor stehen. Das Foto. Als rissen stählerne Ketten mein Herz in die Tiefe lässt mich der Schmerz erzittern und ich greife mir an die Brust, wissend das es mir keine Linderung verschaffen würde. Ich verliere den Kampf und bittersüße Tränen laufen in kleinen Rinnsalen über mein Gesicht. Ich schmecke sie, als sie über meine Lippen perlen. Doch sie sind nicht bittersüß. Sie schmecken salzig, nur salzig.

Ich frage mich, wie lange ich in dieser Welt voller Illusionen noch überleben kann. Mein Körper gibt mir eine Antwort darauf, als mich ein abrupter Schwindelanfall überkommt und ich wankend nach vorne strauchele. Hilflos sucht meine zitternde Hand Halt an der Wand, meine zerschlissenen Fingernägel krallen sich in die Tapete. Ich schluchze und bin kurz davor, mich der übermannenden Ohnmacht hinzugeben. Ich schaffe es nicht länger. Aber ich muss doch. Muss ich?

Ich weiß es nicht. Ich weiß gar nichts mehr. Schon lange nicht mehr. Ich weiß nur, dass es weh tut, jede Sekunde meiner verrottenden Existenz.

In diesem Moment weiß ich, dass es sich jetzt entscheidet. Dass ich mich entscheiden muss. Für das Leben oder für den langsamen Tod in dieser kalten, dunklen Welt der Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. Habe ich die Kraft?

Noch immer mit beiden Händen stützend an die Wand gelehnt hebe ich langsam den Kopf. Das schwarze Haar verhängt eines meiner weinenden Augen. Mit dem anderen blicke ich angestrengt auf das Foto direkt vor mir. Ein Blick, der mir die letzte Kraft abverlangt, die ich in mir trage. Doch der schwerste Schritt liegt noch vor mir. Mein Atem wird flacher und kalter Schweiß benetzt meine Haut, es ist wie eine Krankheit. Eine Krankheit, von der nur ich selbst mich heilen kann.
Ich will wieder wegsehen und in Leid und Einsamkeit versinken, doch ich weiß, wenn ich jetzt nachgebe, bin ich verloren. Langsam und angespannt löse ich eine Hand von der Wand und hebe sie zaghaft nach oben. Mein Körper bebt vor Aufregung und will sich gleichzeitig einfach nur der Erschöpfung hingeben. Immer näher kommen meine zitternden Finger dem Bild, und mein Arm wird schwerer und schwerer, als zerrten ihn bleierne Ketten hinab. Doch ich will nicht aufgeben. Irgendwo in den Abgründen meiner Seele ist ein Funke der Entschlossenheit neu entflammt und die fremde Wärme schenkt mir Kraft. Endlich, meine Hand erreicht das staubige Papier und in einer letzten kraftraubenden Bewegung reiße ich das Bild von der Wand.

Wie paralysiert stehe ich da, als die Fetzen zu Boden fallen. Ich blicke an die leere Wand und muss mich abermals abstützen. Doch ist es kein weiterer Schwindelanfall, der mir das Gleichgewicht raubt. Es ist Erleichterung. Und ich kann es kaum glauben, als sich nur für eine kurze Sekunde ein Lächeln auf meine Lippen legt und diesem einen Augenblick damit einen unwiderruflichen Sinn verleiht.

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